Mahmoud Shamsaldeen ist 36 Jahre alt, gehört der Ahmadiyya Muslim Gemeinde, einer islamischen Reformbewegung, an und ist vor zwei Jahren aus dem syrischen Damaskus geflohen. Geflohen vor dem Terror und der Gefahr selbst einmal zwangsrekrutiert zu werden. In Syrien war er 10 Jahre lang erfolgreich im Marketing-Bereich einer Wirtschaftsfirma tätig. Doch schweren Herzens musste er seine Eltern und die drei Geschwister verlassen und die Flucht alleine antreten.
Wehmütiger Rückblick
„Vor dem Krieg war alles besser“, sagt er. Die syrische Gesellschaft sei eine gemischte Gesellschaft gewesen. Christen, Juden, Muslime und Andersgläubige lebten zusammen. So erzählt er von seiner Arbeit. Seine Arbeitskollegen hätten nicht nur alle einen unterschiedlichen Glauben gehabt, auch sonst seien sie durchweg verschieden gewesen. Trotz alledem sei ihm kein Ereignis bekannt, wo es dazu gekommen sei, dass sich der Eine in die religiösen Angelegenheiten des Anderen eingemischt hätte. Stattdessen beglückwünschten die Muslime die Christen zu ihren Feiertagen und umgekehrt. „Jeder war in seinen religiösen Ansichten und Überzeugungen frei, so wie es mir der Islam auch lehrt“, legt Mahmoud mit Nachdruck dar. Er wirkt entschlossen. Möchte deutlich machen, dass die syrische Gesellschaft vielfältig und vor allem gebildet sei. Der Großteil der Jugendlichen studiere oder gehe einem Beruf nach. Generell sei es in Syrien üblich gewesen, moralische Werte und Normen einzuhalten. So sei es Gang und Gebe, dass man Ältere respektiere, ihnen beispielsweise im Bus seinen Sitzplatz anbiete oder Ihnen über die Straße helfe. Doch dies sei nun alles Vergangenheit. Er scheint nachdenklich, sein Blick senkt sich. Er redet nur ungern darüber. Zu groß sei der Schmerz, über sein geliebtes Land zurückdenken zu müssen. Alles habe er zurückgelassen. Nur die Erinnerungen seien ihm geblieben.
Die Krise nimmt ihren Lauf
Mit dem Krieg änderte sich alles: Das Land, das Denken und das Leben. Nichts war mehr wie vorher. Von der geliebten Harmonie blieb nicht viel übrig. Die verschiedenen Parteien witterten gegeneinander und propagierten, dass die Regierung tyrannisch sei. Viele haben die Situation erst einmal mehr oder weniger hingenommen, doch mit der Zeit habe sich die Situation derart verschlechtert, dass die Menschen mit immensen finanziellen Problemen zu kämpfen hatten. Wohin man auch schaute, habe man Korruption gesehen. Eine Regierung müsse das Wohlbefinden der Bevölkerung gewährleisten und ihre privaten Interessen dem gemeinschaftlichen Wohle unterordnen. „Wozu all dies geführt hat, sehen wir ja heute“, äußert Mahmoud mit einer bedrückten Stimme. Nach Ausbruch der Krise verschlechterte sich die Situation im Land so sehr, dass auch Mahmoud seine Arbeit aufgeben musste und dem Elend ausgesetzt war. Es kam soweit, dass er mehrere Male Raketenangriffe hautnah erlebte, gar überlebte. „Als ich das Haus verließ wusste ich nicht, ob ich heute zurückkehren werde oder nicht!“ Dies sei die Angst eines jeden Syrers dort.
Flucht über das Mittelmeer
Nach reifer Überlegung habe er eines Tages den Entschluss gefasst zu fliehen. Für ihn sei es keine einfache Entscheidung gewesen die geliebte Heimat zu verlassen. Seine Familie verkaufte das Haus, begann zu sparen und informierte sich über mögliche Fluchtwege. Und dann war es soweit. Der so weit weg gedachte Tag, vor dem er sich so gefürchtet hatte, bahnte sich seinen Weg. Er verabschiedete sich von seiner Familie. Der letzte Kuss von der Mutter. Nun gab es kein Zurück mehr. „Diesen schmerzvollen Abschied werde ich niemals vergessen können“, sagt Mahmoud mit einer zittrigen Stimme. Über den Libanon flog er zunächst in die Türkei. Von dort aus ging es nach Algerien. Hier hauste er für einige Tage, bis die weitere Reise mit den Agenten ausgemacht werden konnte. Mit einem Bus fuhr er mit den anderen Flüchtlingen den halben Tag lang durch die Wüste. Völlig erschöpft erreichten sie Libyen. Jetzt hätte erst die wahre Qual begonnen. Mit einem LKW sollte es zur lybische Grenze weiter gehen. „Der LKW war für 30 Personen geeignet, aber wir waren 100“, erzählt Mahmoud und führt weiter aus: „Hier wurde mir bewusst, dass wir für die Agenten nicht mehr wert sind als Tiere oder Objekte.“ Nach 6 Stunden im überfüllten LKW, unausstehlicher Hitze und einem zweistündigen, lebensgefährlichen Marsch kamen er und die anderen Flüchtlinge schließlich bis zur Grenze. Mit dem überfüllten Boot fuhren sie an den Wellen entlang in Richtung der italienischen Küste. „Als das Boot losfuhr, erkannte ich erst in welch große Gefahr ich mich begeben hatte“, erinnert sich Mahmoud zurück. Nun gab es wirklich kein Zurück mehr. Nach tagelangem Treiben auf offenem Meer, wurden sie endlich von der italienischen Küstenwache entdeckt und gerettet. Für einige Tage blieb er im Flüchtlingslager, bis er sich auf dem Weg nach Deutschland machte, dem Ziel seiner Reise.
Heimat 2.0
Seitdem sind mehr als zwei Jahre vergangen. Es habe sich vieles in seinem Leben verändert. In Deutschland sei vieles anders als in Syrien. Schon zu Beginn habe er sich überwinden müssen, die hygienischen Verhältnisse im Flüchtlingsheim zu akzeptieren. So etwas sei er nicht gewohnt gewesen. Das Leben in den Flüchtlingsunterkünften präge einen, so Mahmoud. Mehrmals habe er die Flüchtlingsheime wechseln müssen. Die neu gewonnene heimische Umgebung verschwand ohne jegliche Vorwarnung dahin. Wegen der andauernden wechselnden Unterkünfte könne kein fester Bezugspunkt gewonnen werden. Oft sei es ein harter Kampf gewesen, sich zurecht zu finden. So erinnert er sich an die ersten Begegnungen mit den Behörden zurück. Die Kommunikation und das Verständnis mit den Sacharbeitern stellte sich als überaus problematisch dar. Damals sprach Mahmoud noch kaum ein Wort Deutsch. „Ohne wirkliche Sprachkenntnisse hat man kaum eine Möglichkeit seine Bedürfnisse zu artikulieren“, sagt Mahmoud. Doch die Behörden hätten einfach zu wenig Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Es sei ein Kreislauf. Ohne Sprachkenntnisse bekäme er keine Arbeit. Die fehlende Arbeit führe dazu, dass er bei der Wohnungssuche erfolglos bleibt. Kaum jemand vermiete seine Wohnung an Flüchtlinge ohne Arbeit. Dennoch möchte er Keinem einen Vorwurf machen. Zu Beginn habe er daher die meiste Zeit im Heim verbracht. Kontakte zur deutschen Gesellschaft habe es kaum gegeben. In dieser Zeit habe er viel nachgedacht. Und gleichzeitig auch viel zu hören bekommen. Flüchtlinge kämen nach Deutschland, um auf den Kosten des Staates leben zu können. Mahmoud hält für eine kurze Zeit Inne. Er wirkt verletzt. „Wir wollen nicht das Geld vom Staat! Wir wollen so schnell wie möglich arbeiten dürfen und auf unseren Beinen stehen“ sagt Mahmoud willensstark. In erster Linie bräuchten die Flüchtlinge wie er keine materielle Hilfe. „Wir brauchen eine Familie und Freunde, die mit uns zusammenkommen und uns an die Hand nehmen, damit wir hier ein neues Leben anfangen können.“ Er sei jedem äußerst dankbar, der auch nur ein wenig Zeit für die Sorgen der Flüchtlinge opfert. Oft habe er Menschen kennengelernt, die ihm uneigennützig bei alltäglichen Dingen unter die Arme griffen. Man helfe jedem und so oft man könne. Genauso kenne er es aus Syrien. Doch in diese Dankbarkeit mischt sich auch Angst und Trauer. Wie viele seiner Leidensgenossen fühlt auch er sich immer stärker im Visier der Gesellschaft. Er habe zu spüren bekommen, dass einige Menschen glauben würden, dass alle Flüchtlinge Terroristen seien und der hiesigen Gesellschaft den Islam aufzwingen wollen, sowie dass Flüchtlinge ihre Frauen unterdrücken würden und kein Interesse an einer Integration hätten. Solche Vorwürfe würden ihn zutiefst verletzen. „Ich bin selbst ein Opfer solcher Terroristen und von manch einem werde ich hier als Terrorist hingestellt“, beklagt Mahmoud. Dennoch, so betont Mahmoud, ist er dem deutschen Volk für die Gastfreundschaft unendlich dankbar. Er könne seine Dankbarkeit nicht oft genug aussprechen, so Mahmoud.
Aufruf zum Dschihad
Das einzige was wir wollen ist Frieden. Ja, er sei Muslim und führe jeden Tag den Dschihad aus, erklärt Mahmoud. Aber die islamische Lehre verbiete das Töten von Unschuldigen. Verbiete die Unterdrückung von Frauen, die Verfolgung von Andersgläubigen, das Zerstören von Gotteshäusern. Ein Muslim sei derjenige, durch dessen Hand und Zunge die Menschen geschützt seien. Es dürfe laut Koran keinen Zwang im Glauben geben. „All das ist für mich Islam“, pointiert Mahmoud und führt aus: „Das uneigennützig gute Handeln ist der Dschihad“. Der Khalif der Ahmadi-Muslime verbreite den wahren Islam und den Frieden unter den Völkern und Nationen und dies sei das Ziel des Islam und der Botschaft des Propheten.“ Er klingt gewillt das Bild der Flüchtlinge verbessern zu wollen. Er möchte den Menschen so vieles erklären und müsse daher schnellstmöglich die Sprache erlernen. „Ich bin ein loyaler, treuer und integrierter Bürger“, bekennt Mahmoud seine Haltung. Sein Glaube bestehe auch darin, den Gesetzen und Regeln des Landes, indem er lebe und Sicherheit genieße, zu folgen. „Sie werden erkennen, dass wir friedliebend sind und uns für das Gute einsetzen und den Menschen dienen möchten“, sagt Mahmoud. Mit seinen Glaubensbrüdern der Ahmadiyya-Muslim Gemeinde würde er regelmäßig Blutspenden, die Straßen säubern, Charity-Walks organisieren und ältere, einsame Menschen besuchen gehen. Für ihn sei es selbstverständlich dem Menschen zu helfen. Etwas zurückgeben von dem, was er bekommen habe. In Deutschland sei er zwar am Ziel, aber noch lange nicht am Ende, untermauert Mahmoud entschlossen!
Kaser Ahmad und Fayaz Ahmad (Hamburg)